DE MORTUIS NIHIL NISI BENE

Der Weg des zynischen Menschenfreundes zum Glück - Een podcast door Lauter Vollkoffer

Heute keine Späßchen: Wieder ist ein wirklich großer von uns gegangen und düst fürderhin mit den anderen verblichenen Genies mit Captain Kirk für immer durch die Galaxien. Wieder einmal ist ein Nachruf fällig. Und wieder einer der Stunden dauern könnte, ohne dass man was Böses über den Verstorbenen sagen müsste oder sonst irgendwie das obige Pietätsgebot verletzen zu müssen. Hans Dichand hat das Nachkriegsösterreich nicht nur geprägt, sondern die Realität in ihm, wahrlich geschaffen und geformt wie nur wenige andere. Sicher auch Kreisky und Haider haben in diesem Land ihre Spuren hinterlassen. Aber auch sie erreichen in meiner Generation aus den frühern 60ern nicht diese emotionale Präsenz wie Dichand. Die sind gekommen und wieder gegangen und haben uns allein gelassen. Dichand war immer schon da, wie die Luft zum Atmen, 50 Jahre lang, jeden Tag am Frühstückstisch und oft noch am Klo. Irgendwie fühlt man sich als 50 Jähriger jetzt, als wäre der Weihnachtsmann oder Lassie oder der Himmelvater gestorben. Eine profunde Einsamkeit. Dichand hat in seinem Leben viele Schlachten geschlagen und einige auch verloren. Er hat sich aber nie jemandem verkauft, die anderen mussten sich an ihn verkaufen. Er hat so unterschiedliche Gebilde wie Haiders FPÖ und die Grünen aus der Taufe gehoben. Ja ohne ihn wäre Hainburg nicht passiert, ohne Hainburg die Grünen nicht. Ob man das als Niederlage, Leistung oder Versagen beurteilt bei Haider und den Grünen ist Ansichtssache. Jedenfalls hat er die Realität nicht nur mitbestimmt, sondern erst geschaffen, bis in hohe Greisenalter. Auch den jetzigen Statisten im Kanzleramt, gebe es ohne Unterstützung eines Greises nicht. Hut ab. Das besonders Erstaunliche ist aber, dass er das in dem Land gemacht hat, in der nicht so sehr die Schreibmaschine, sondern zu allererst der Proporz erfunden wurde. Hand aufs Herz, wie viele Bekannte haben Sie, die Sie nicht politisch zuordnen können, oder wenigstens meinen es zu können und wenn Sie es nicht können, von denen es Sie nicht insgeheim ärgert, dass Sie nicht wissen, ob er oder sie nun rot, schwarz, blau orange oder aber auch grün sind. Dichand war nicht zuzuordnen. Er war nicht blau oder rot oder grün, sondern die Roten, Blauen und Grünen durften eine zeitlang Dichand sein. Er hat uns mit seiner Uneinschätzbarkeit, mit seiner absoluten Unabhänigkeit geärgert, und mehr noch mit dem Umstand, dass er damit integriert über fünf Jahrzehnte sicher der mächtigste Österreicher war. Er hat verstanden, dass Populismus und Demokratie dasselbe sind, eines eben Latein und das andere Griechisch, aber dasselbe. Aber er hat auch den Leuten nicht nach dem Maul geredet, sondern die ihm, wie oft und wie drastisch er in seinem Leben auch die Meinung änderte. Diejenigen die ihn, den Populisten, als solchen beschimpften, sind aber keine Demokraten sondern groß- und bildungsbürgerliche Eliten- zumindest in der Selbsteinschätzung, die sich weder vom Demos noch vom Populus was dreinreden lassen wollen, nicht auf griechisch und nicht auf Latein. Demokratie wie Dichand sie verstand, und in Österreich bis zu einem hohen Grad auch durchgesetzt hat, ist nicht die Regierung der klügeren sondern des Volkes. Noch weniger ist es die Regierung derjenigen, die sich für klüger halten. Letzteres nennt man europäische Gemeinschaft. Auch zu der hat er im Laufe seines Lebens und auch noch im Greisenalter seine Meinung geändert. Aber nur Idioten ändern ihre Meinung nicht, wenn die Welt sich ändert. Und er, der sich despotisch gab, war mehr Demokrat als irgendsonstwer in Österreich. Bei ihm durften nicht nur ein Nimmerrichter, sondern auch ein Novotny, ein Wolf Martin und ein Auhirsch schreiben, ohne sich verbiegen zu müssen und Dichands A… zu lecken. Wer sonst deckt in Österreich so ein Spektrum ab? Vermutlich nicht einmal die Kirche. Ein wirklich großer ist von uns gegangen. Es ist jetzt nicht die Zeit über Kleinigkeiten zu schreiben. Wie sich die geistigen Erbschleicher untereinander die Beute aufteilen, mag manches Journalisterl interessieren, das sich völlig fälschlicherweise anmaßt ein Kollege des Dichands zu sein. Mich nicht wirklich. Denn wie es auch kommen mag, der Dichand ist nicht zu ersetzen. Der kommt genauso wenig wieder wie Jesus Christus, Jörg Haider und Herr Dr. Kreisky. Ich werde jedenfalls für Dichand beim Vatikan in Sachen ehebaldigster Heiligsprechung als Zeuge vorstellig werden. Mit seiner Hilfe und der Krone als Nahkampfwaffe habe ich täglich in der U-Bahn ein Wunder vollbracht. Ich brauchte mich nur vor dem Invalidensitz aufzubauen, die arschlinks im Hosenbund steckende Krone herauszuholen, und schon sprangen die Lahmen auf wie die Gamserl. Man setzte sich, blätterte auf Seite 9, kratzte sich wohlig grunzend die Eier und ließ vielleicht noch einen fahren, und schon ergriffen die in der Nähe sitzenden Bildungsbürger panikartig die Flucht. Und ich – ja ich hatte in der bummvollen U-Bahn die nötige Ellenbogenfreiheit und Abstellfläche für die Bierdose am Nebensitz.