Folge 76 - Weihnachten (Rilke, Storm, Loriot)

Lyrikschule - Een podcast door Johannes Thiele

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Weihnachten ist die Zeit der Besinnung, die Zeit der Kinder, auch eine melancholische Zeit und nicht zuletzt eine Zeit der absurden Rituale und nervenaufreibenden Familienfeiern. Anhand von drei Gedichten sollen Schlaglichter auf diese Zeit geworfen werden, wenngleich es sich nicht um die ganz typischen Weihnachtsgedichte 'unterm Tannenbaum' handelt. Rainer Maria Rilke Das KarussellJardin du LuxembourgMit einem Dach und seinem Schatten drehtsich eine kleine Weile der Bestandvon bunten Pferden, alle aus dem Land,das lange zögert, eh es untergeht.Zwar manche sind an Wagen angespannt,doch alle haben Mut in ihren Mienen;ein böser roter Löwe geht mit ihnen und dann und wann ein weißer Elefant.Sogar ein Hirsch ist da, ganz wie im Wald,nur dass er einen Sattel trägt und drüberein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt. Und auf dem Löwen reitet weiß ein Jungeund hält sich mit der kleinen heißen Handdieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge. Und dann und wann ein weißer Elefant. Und auf den Pferden kommen sie vorüber,auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprungefast schon entwachsen; mitten in dem Schwungeschauen sie auf, irgendwohin, herüber –.Und dann und wann ein weißer Elefant.Und das geht hin und eilt sich, dass es endet,und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,ein kleines kaum begonnenes Profil –.Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet,ein seliges, das blendet und verschwendetan dieses atemlose blinde Spiel ... Theodor Storm Weihnachtslied Vom Himmel bis in die tiefsten Klüfteein milder Stern herniederlacht;vom Tannenwalde steigen Düfteund kerzenhelle wird die Nacht. Mir ist das Herz so froh erschrocken, das ist die liebe Weihnachtszeit! Ich höre fern her Kirchenglocken mich lieblich heimatlich verlocken in märchenstille Herrlichkeit. Ein frommer Zauber hält mich wieder, anbetend, staunend muß ich stehn; es sinkt auf meine Augenlider ein goldner Kindertraum hernieder, ich fühl's, ein Wunder ist geschehn. Loriot Advent Es blaut die Nacht. Die Sternlein blinken. Schneeflöcklein leis’ niedersinken. Auf Edeltännleins grünem Wipfel häuft sich ein kleiner weißer Zipfel. Und dort, vom Fenster her durchbricht den dunklen Tann' ein warmes Licht. Im Forsthaus kniet bei Kerzenschimmer die Försterin im Herrenzimmer. In dieser wunderschönen Nacht hat sie den Förster umgebracht. Er war ihr bei des Heimes Pflege seit langer Zeit schon sehr im Wege. So kam sie mit sich überein: Am Niklasabend soll es sein. Und als das Rehlein ging zur Ruh', das Häslein tat die Augen zu, erlegte sie - direkt von vor'n - den Gatten über Kimm' und Korn. Vom Knall geweckt rümpft nur der Hase zwei-, drei-, viermal die Schnuppernase. Und ruhet weiter süß im Dunkeln, Derweil die Sternlein traulich funkeln. Und in der guten Stube drinnen, da läuft des Försters Blut von hinnen. Nun muß die Försterin sich eilen, den Gatten sauber zu zerteilen. Schnell hat sie ihn bis auf die Knochen nach Waidmanns Sitte aufgebrochen. Voll Sorgfalt legt sie Glied auf Glied - was der Gemahl bisher vermied - Behält ein Teil Filet zurück, als festtägliches Bratenstück. Und packt zum Schluss - es geht auf vier - die Reste in Geschenkpapier. Da dröhnt's von fern wie Silberschellen. Im Dorfe hört man Hunde bellen. Wer ist's, der in so tiefer Nacht im Schnee noch seine Runde macht? Knecht Ruprecht kommt mit gold’nem Schlitten auf einem Hirsch herangeritten! »He, gute Frau, habt ihr noch Sachen, die armen Menschen Freude machen?« Des Försters Haus ist tief verschneit, doch seine Frau steht schon bereit: »Die sechs Pakete, heil'ger Mann, 's ist alles, was ich geben kann!« Die Silberschellen klingen leise. Knecht Ruprecht macht sich auf die Reise. Im Försterhaus die Kerze brennt. Ein Sternlein blinkt: Es ist Advent.

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